... öffentliche Deckangebote gegen geringes Entgelt
In Flensburg hatte ich wohl das verdrehteste Erlebnis, das mir in meinem langen Leben vorgekommen ist. Der Bruder meiner Frau war dort seit langer Zeit Landrat, und vor dem Landratsamt war bei unserer Ankunft ein großer, besonders feierlicher Empfang. Der Platz stand voller festlich gekleideter Menschen, eine Musikkapelle spielte, Gedichte wurden vorgetragen und Reden gehalten. Das Landratsamt war mit Girlanden geschmückt, und gerade an der Stelle, die der Mittelpunkt der Ausschmückung war, hinter einer Reihe weißgekleideter Jungfrauen, war eine Tafel angebracht mit einer großen, weithin sichtbaren Inschrift, die mir sofort in die Augen stach, und die ich immer wieder lesen mußte, weil ich zu träumen glaubte. Sie lautete "Lettow-Vorbeck deckt für 20 Pf." Und davor stand ich nun in Generalsuniform mit roten Streifen an den Hosen, mit Tropenhut, Eisernem Kreuz und Pour le Merite. Ich war, wie der Berliner sagt: platt" weniger wegen des bescheidenen Honorars von zwanzig Pfennigen, sondern vielmehr, weil ich das Ganze unglaublich fand. Da aber offenbar keiner der Anwesenden Anstoß daran nahm und man mich doch ehren und keine schlechten Witze machen wollte, auch meine junge Frau neben mir keine Spur von Verwunderung zeigte, so mußte ich mir sagen, hier liegt offenbar ein mir bisher unbekannter Modus vor, wenn man einen Gast besonders ehren will. So etwas wie eine durch Tradition geheiligte Sitte aus dem Mittelalter, die sich erhalten hat. Schließlich hatte ich viele Völker und Sitten kennengelernt. Aber so recht befriedigte mich das auch nicht, und ich muß gestehen, daß ich von der ganzen Feier und von dem, was geredet wurde, kein Wort in mich aufnahm.
Als endlich alles vorbei war, ging ich zu meiner Schwägerin und sagte ihr: "ja, Dodo, es war ja alles sehr schön, aber diese Inschrift habe ich beim besten Willen nicht verstanden." Sie sah mich entgeistert an, stieß einen Schrei aus, warf sich auf einen Lehnstuhl und strampelte mit Händen und Füßen. Aus allem, was sie ausstieß, verstand ich als einziges das Wort Anton'. Anton war ihr Mann, der sich bald auch auf einen Stuhl warf und zu strampeln anfing, so daß ich mir sagte. Jetzt haben sie beide ausgehakt." Aber schließlich beruhigten sie sich, und es kam folgendes heraus. In Flensburg hatte, wie in allen deutschen Städten, im Kriege große Verpflegungsnot geherrscht, besonders an Fleisch. Das hatte die Leute dazu veranlaßt, Kaninchen zu ziehen. Auch meine dreizehnjährige Stieftochter hatte eine Kaninchenzucht und einen besonders schönen Karnickelbock von der Blauen-Wiener-Rasse, den sie mir zu Ehren Lettow-Vorbeck" getauft hatte. Das in ihr steckende Hanseatenblut brachte sie darauf, diesen Bock auch kaufmännisch auszunutzen, und um dem geehrten Publikum bekanntzugeben, daß sie geneigt ,war, ihren Bock zu Zuchtzwecken gegen eine bescheidene Gebühr auszuleihen, hatte sie die Tafel am Hause des Landrats angebracht, wo ihr Kaninchenstall war. Das Geschäft ging glänzend, und ganz Flensburg wußte, daß es sich um den Kaninchenbock handelte, wenn von LettowVorbeck die Rede war. Daß ich auch "Lettow-Vorbeck" hieß, war eben Zufall und meine Sache.
So klärte sich der Vorfall einfach und durchaus logisch auf. Nur ich, der von den Vorgängen nichts ahnte, hatte vor einem Rätsel gestanden.